19 Dezember 2022

Sali zämu

Wir sind immer wieder hin und her gerissen. Diesmal geht es um die Frage der ökologischen Nachhaltigkeit: Wieso betreiben wir bei Wundärland bis heute noch weitgehend konventionellen Weinbau? Dies ist aus meiner Sicht der grösste Elefant in unserem Degustationsraum und ich will diesen Fakt nicht verschweigen:

Ja, wir sind mitschuldig daran, dass die Artenvielfalt und Biodiversität im Wallis gesunken ist.

Und das fühlt sich, ganz ehrlich gesagt, ziemlich beschissen an.

Dieser Beitrag ist zwar ein Ritt auf der Rasierklinge, aber sollte keineswegs in Schwarzmalerei münden. Fest steht: Es ist ein Thema, über das die Branche meist schweigt oder mit einer gehörigen Portion Greenwashing und Whataboutismus unter den Teppich kehrt. Auch ich möchte das Thema intuitiv am liebsten unter den Tisch fallen lassen. Doch genau diese innere Handbremse ist für mich der beste Indikator, darüber sprechen zu MÜSSEN.

Unser innerer Antrieb etwas verändern zu wollen, begann bereits vor Jahren und fusst nicht etwa auf der Tatsache, dass Nachhaltigkeit ein grossartiges Verkaufsargument und ein Megatrend ist, sondern auf purem Egoismus:

Wir wollen endlich richtig stolz sein dürfen, auf das, was wir machen. Und das geht heute nicht.

Ich weiss, ökologische Nachhaltigkeit ist in der Landwirtschaft vielmehr als nur Spritzen, aber in der Öffentlichkeit wird dies oft gleichgesetzt. Ein häufig gehörtes Vorurteil ist hierbei:

Spritzen is fun

Viele glauben, wir würden blindlings drauflosspritzen, einfach aus Spass an der Sache. Da gilt es jedoch Folgendes nicht zu vergessen:

  1. Der Wecker klingelt meist schon um 4:30 Uhr.
  2. Irgendwann wird es dann mit über 30 Grad verdammt heiss.
  3. Die Arbeit ist mit einem 230 m langen Schlauch körperlich ziemlich anstrengend.
  4. Den Gestank der Produkte auf Haut und Haaren wird man meist über Tage nicht mehr los.
  5. Es ist dadurch nicht besonders förderlich für die eigene Gesundheit.
  6. Die Produkte sind zum Teil exorbitant teuer.

Dabei ist Spritzen nur ein Beispiel für umweltschädliches Arbeiten. Denn auch Unkraut vernichten, Wässern oder Düngen ist meist nicht sehr funny. Doch wenn nicht die pure Freude daran unser Antrieb ist, wieso tun wir es dann trotzdem? Die Herausforderung der ökologisch nachhaltigen Landwirtschaft ist vielschichtig, aus meiner Sicht sind einige der wichtigsten Faktoren die folgenden:

  • Routinen:
    Ganz ehrlich, viele Dinge wurden in der Landwirtschaft «schon immer so gemacht», man ist damit einigermassen gut gefahren, also macht man einfach weiter damit. Routinen zu hinterfragen und zu durchbrechen ist oft eine erste grosse Hürde, so auch bei uns. Ein Aufbruch ins Ungewisse ist anstrengend. Viele Entwicklungen gingen mit meinem Grossvater los. Er spritzte noch mit Kupfer und Schwefel, die Produkte wurden immer komplexer und das Problem hat sich immer stärker akzentuiert, die Schäden wurden gravierender. Der Sensibilisierungsgrad bei Umweltthemen in unserer Elterngeneration ist trotzdem weitaus geringer als bei uns, geschweige denn in der Gen Z. Es braucht Geduld und Überzeugungsarbeit, um eingerostete Routinen und Bequemlichkeit zu durchbrechen und neue Wege zu gehen. Ein Umdenken ist jedoch generationsübergreifend zu beobachten.
  • Wirtschaftlichkeit:
    Überraschung! Auch die ökonomische Nachhaltigkeit ist zentral. Eine alte Bekannte, denn schliesslich läuft es im Rebbau sehr oft auf eben diesen Faktor hinaus, wie bereits auch schon im Artikel der Hilfsarbeiter aufgezeigt. Die geringen Margen zwingen Vollzeitbauern oft zu Entscheidungen, die grundsätzlich nicht mit deren Werten übereinstimmen. Hobbywinzer oder Winzer mit kleineren zu bearbeitenden Flächen können deutlich konsequenter und experimenteller vorgehen. Ich gebe hier niemandem anders die Schuld an der Situation, in der wir uns befinden. Wir sind jedoch teilweise zu unangenehmen Kompromissen gezwungen. Die Frage lautet:

    Wo hört der Idealismus auf und wo fängt der Taschenrechner an?

    Wer uns kennt, weiss, wir sind keine besonders monetär angetriebene Familienbande. Und trotzdem ist es zentral, dass am Ende des Rebjahres ein kleiner Überschuss erwirtschaftet wird. Denn man weiss nie, was im nächsten Jahr wieder alles an grossartigen Überraschungen auf einen wartet. Daher geht es in diesem Zusammenhang auch um:

    • Risikominimierung:
      Das Rebjahr 2021 mit seinen historischen Ernteausfällen war prägend. Der überdurchschnittlich nasse Frühsommer verunmöglichte es, die Reben pünktlich zu spritzen und brachte den falschen Mehltau in einem nie da gewesenen Ausmass. Wir verloren 47,34% der Gesamternte, trotz weitgehend gleichbleibender Kosten. Da braucht es keinen HSG-Abschluss, um festzustellen, dass ganzjährige Arbeit ohne Lohn ab dem 13. Juni auf Dauer nicht optimal ist. Als drastisches Beispiel die Parzelle im «Goliiri». Wo wir in einem gewöhnlichen Jahr um die 1'700 kg Pinot Noir Trauben ernten, erhielten wir 2021 eine Ausbeute von lediglich 200 kg und konnten mit dem Auto wimden gehen. Das färbte auf 2022 ab, es herrschte also der Ansatz «Das wird uns nicht noch einmal passieren.» Es war zwar ein trockener Sommer mit geringem Pilzbefall, aber nach den Erfahrungen und Einbussen 2021 und dem Rückgang der Reserven, wollte niemand ein unnötiges Risiko eingehen, Aktionismus kam auf und es wurde tendenziell eher einmal zu viel als einmal zu wenig gespritzt.
    • Ertragsmaximierung:
      Für den Fortbestand des Betriebes ist es wichtig, Jahr für Jahr die maximal zugelassene Menge pro Quadratmeter möglichst auszuschöpfen, was in den letzten Jahren nur sehr selten gelang. Hierfür wird sehr oft im Frühjahr durch künstliche Düngung die Basis gelegt. Diese Düngung kräftigt die Reben und gleicht Mängel aus (etwa Stickstoff oder Magnesium). Die künstliche Bewässerung im Sommer lässt die Trauben voller und schwerer werden, hilft den Reben die sommerlichen Trockenperioden zu überstehen und weiter zu wachsen. Dieses Jahr konnten wir erstmals feststellen, dass jene Parzellen, die unter der Wasserknappheit gelitten haben, um die 15% weniger Ertrag abwarfen. Auch die Qualität nimmt dadurch drastisch ab, die Rebe geht in den Überlebensmodus und braucht nach dem Auffüllen der Wasserdepots wiederum ca. 20 Tage, um wieder komplett auf die Beine zu kommen. Dieser Rückstand wird nie mehr aufgeholt und der Zuckergehalt und die Aromen fallen bei der Ernte deutlich tiefer aus. Deshalb wird in Parzellen mit Wasserknappheit auch das Unkraut mit Herbiziden vernichtet, um die Wasser-Konkurrenz für die Reben zu minimieren.
    • Kostenlimitierung:
      Es gäbe für viele Herausforderungen im modernen Rebbau auch nachhaltigere Lösungen als jene, die wir anwenden. Aber der Mehraufwand geht bei unserer Betriebsgrösse mit einer Explosion der Personalkosten einher. So wird etwa die Anzahl nötiger Besuche pro Parzelle vervielfacht und auch die dadurch investierte Zeit.
Her mär üf
  • Fehlender Anreiz:
    Es besteht aktuell kaum ein Markt für biologisch produzierte Trauben. Diese werden meist auch nicht höher entschädigt als konventionell hergestellte Trauben. Dies wäre aus meiner Sicht der wirksamste Hebel für Veränderung. Durch höhere Kilopreise wäre ein höheres Risiko oder eine geringere Menge tolerierbar. Hierfür müsste jedoch auch der Konsument noch tiefer in die Tasche greifen. Dadurch werden die Schweizer Weine noch teurer, während für die importierten und günstiger verkauften Weine aus dem Ausland weiter gewerkelt werden darf.
  • Verzettelung:
    Nachhaltiger Rebbau ist ein Buch mit sieben Siegeln, es gibt keine klaren Empfehlungen oder pfannenfertige Lösungsansätze. Aktuell ist es ein dichter Dschungel: Es gibt monotheistische Gurus und ihre sektenähnlichen Anhänger, verschiedenfarbige Labels und Ideologien, die sich teilweise gegenseitig bekämpfen oder ausschliessen. Dagegen ist Mac vs PC ein Kindergeburtstag. Begriffe und Produkte tummeln sich auf einem Markt, auf welchem sowohl Produzenten als auch Konsumenten weitestgehend den Überblick verloren haben: Vinatura, Permakultur, Delinat, Demeter, Naturwein, Vin Vivants, biologisch, biodynamisch, um nur einige zu nennen. Uns interessieren weder Labels noch Logos. Es entstehen zahllose Nebenkriegsschauplätze, statt gemeinsam am gleichen Strick zu ziehen. Konventionelle Pflanzenschützer behaupten, dass deren synthetische Produkte auch nach Niederschlägen die Trauben deutlich länger schützen würden, während Bio-Betriebe viel öfter spritzten und dadurch mit viel zu viel Kupfer die Böden belasten würden. Die Anhänger von Rudolf Steiner seien wiederum nur homöopathische Verschwörungstheoretiker. Konsens und Dialog ist schwierig.
So machts nid vil Sinn..

Wie wollen wir bei Wundärland also weiter gehen unter Berücksichtigung, dass es nicht DIE eine Lösung gibt? Wir definierten für uns einen Mix und müssen eine gewisse Ambivalenz aushalten. Bei der Grösse unseres Betriebes müssen wir Fehler machen, Anpassungen vornehmen und so Schritt für Schritt vorwärts gehen. Unser pragmatisches Hauptmotto lautet:

So wenig wie möglich, doch so viel wie nötig!

  • Ausbau Erfahrungsschatz:
    Durch den mitverantworteten und extrem schnell voranschreitenden Klimawandel und dessen Effekte werden wir jährlich vor neue Herausforderungen gestellt und lernen daraus. So helfen die Lehren aus den vergangenen zwei Jahren, um künftig schneller auf verschiedene Szenarien reagieren zu können (trocken oder nass).
  • Austausch:
    Wir lernen durch die Erfahrungen anderer. Der Aufbau eines Netzwerks hilft, um zu kopieren was funktioniert. Auch wir pilotieren Dinge: So haben wir etwa Gründüngung mit Rotklee bereits vor Jahren ausprobiert. Dies führte zu teilweiser Fäulnis, da der Stickstoff erst im Herbst abgegeben wurde. Durch den früheren Erntezeitpunkt könnte der Klee jedoch mittlerweile wieder interessanter werden.
  • Assemblagen definieren:
    Wir haben einige Jahre an unseren Wundärland-Blends gefeilt und sind bald am Ziel. Hierfür haben wir bisher Trauben und Sorten aus allen verschiedensten Parzellen verarbeitet. Nun haben wir weitestgehend die Sorten und Parzellen definiert, die wir für unsere eigenen Weine nutzen werden. Diese haben wir bereits in den letzten Jahren, wenn immer möglich, ausschliesslich biologisch bewirtschaftet. Sie dienten uns als Versuchslabor, um zu sehen, was geht und was nicht.
  • Kompensationszonen:
    Wir sind daran, Inseln der Biodiversität in unseren Parzellen zu errichten. Hier wird für jede Weinbestellung ein kleiner Baum oder Strauch angepflanzt, um Rückzugsgebiete für Flora und Fauna im Rebberg zu errichten und so die intensive Nutzung der Flächen etwas zu entschärfen. Das Projekt «Goliiri» werde ich in einem der kommenden Newsletter vorstellen.
  • Erneuerung Fahrzeugflotte:
    Wir haben die Flotte erneuert und durch verbrauchsärmere Fahrzeuge ersetzt.
  • Veredelung:
    Wir haben die bestehenden Rebberge durch Aufpfropfung mit Sorten ergänzt, die resistenter sind und starten erste Versuche mit PIWI-Sorten. Im Gegensatz zu einer Neubepflanzung bleibt so das Wurzelwerk erhalten. Die Reben holen sich die Feuchtigkeit und Nährstoffe tiefer aus dem Boden, dies ist deutlich ressourcenschonender.
  • Maschinen:
    Neu haben wir einen Mulcher angeschafft, der auch in enger bepflanzten Parzellen eingesetzt werden kann. So können diese ohne den Einsatz von Herbiziden begrünt bleiben. Aktuell haben wir noch keine wunschgemässe Lösung für die Unterstockbehandlung, sind aber auf der Suche danach.
  • Tropf-Bewässerung:
    Eine Vielzahl der Parzellen haben wir bereits umgestellt, um Wasser zu sparen und gleichzeitig weniger Unkraut in den Linien zu haben. So wird auch der Einsatz von Herbiziden reduziert.
  • Mitarbeit in kantonalen Projekten:
    Wie etwa dem «Vorhaben 13*- Für eine zukunftsorientierte Weinbaustrategie» des Kantons Wallis.
  • Bodenanalysen:
    Durch gezielte Durchführung von Analysen kann der exakte Bedarf der Düngung für eine Parzelle bestimmt und Reduktionen vorgenommen werden.
  • Verbote:
    Der Verkauf und die Nutzung von immer mehr schädlichen Produkten wird verboten. Dies zwingt Landwirte sich anzupassen.

Und trotzdem klingen die oben genannten Punkte in meinen eigenen Ohren immer auch irgendwie nach Rechtfertigung und es ist so, dass die Welt wohl eine nachhaltigere wäre, wenn wir ganz auf den Rebbau verzichten würden. Dieser Schritt ist für uns aktuell jedoch keine Option. Also werden wir unsere Anstrengungen weiter vergrössern, um unseren Fussabdruck weiter zu verkleinern.

Wir bitten euch um ein wenig Geduld mit uns, denn wir wissen, dass nicht alles gut ist, was wir machen, aber wir arbeiten daran.

In dem Sinne, Griäss gehnt raus üsum Wii-Wundärland!

Euer Sandro


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